Private Unfallversicherung: Sofortleistung bei schwerer Erkrankung
Das Landgericht Kiel hat eine private Unfallversicherung dazu verurteilt, an ihren Versicherungsnehmer eine Sofortleistung in Höhe von 7.500,00 € wegen einer schweren Erkrankung zu zahlen, obwohl die konkrete Erkrankung, namentlich ein Hirntumor, nicht in den allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) als Erkrankung aufgelistet war. Nach A.3.1.1 der besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit EXTRA-PLUS-Leistungen für Erwachsene verpflichtet sich die private Unfallversicherung zu einer Sofortleistung nur bei Eintritt der folgenden Erkrankungen:
„a) Akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt)
b) Krankheiten des zerobrovaskulären Systems (Schlaganfälle)
c) Bösartige Neubildung der weiblichen Brustdrüse (bei weiblichen versicherten Personen)
d) Bösartige Neubildung des Hodens (bei männlichen versicherten Personen)
e) Organtransplantation.“
Von einem Hirntumor war keine Rede. Dennoch musste die private Unfallversicherung an ihren Versicherungsnehmer eine Sofortleistung zahlen. Denn nach Ansicht des Landgerichts Kiel ist die Klausel für den Versicherungsnehmer überraschend und daher nicht Vertragsbestandteil geworden.
Das Landgericht Kiel beruft sich auf § 305 c Abs. 1 BGB. Danach werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil.
Die Prüfung nach § 305 c Abs. 1 BGG erfolgt in drei Schritten.
- Es muss festgestellt werden, welche Vorstellungen und Erwartungen der Kunde vom Inhalt des abgeschlossenen Vertrages nach den Umständen hatte und haben durfte.
- Dann ist der Inhalt der streitigen AGB-Klausel zu ermitteln.
- Letztlich ist zu fragen, ob die Diskrepanz zwischen den Vorstellungen des Versicherungsnehmers und dem Inhalt der AGB-Klausel so groß ist, dass sich die Annahme rechtfertigt, es handele sich um eine “überraschende” Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB
Im zugrundeliegenden Fall fiel die Prüfung zugunsten des Versicherungsnehmers aus. Das Landgericht Kiel führt hierzu aus:
„Dem Kläger wurde unter Vorlage des elfseitigen Prospekts der Beklagten dargelegt, dass bei dem Auftreten einer schweren Erkrankung eine Leistung in Höhe von 7.500,00 € sofort gezahlt werden würde. Dies ergab sich aus Seite 9 des Prospekts. Hiernach bestand das EXTRA-PLUS-Paket aus einer Sofortleistung bei schweren Erkrankungen. Darin ist kein Hinweis enthalten, dass lediglich bestimmte schwere Erkrankungen vom Vertragsschutz umfasst sind. Eine Einschränkung, dass davon ein Hirntumor nicht umfasst sein würde, ist darin nicht zu finden. Auch sind dort nicht etwa exemplarisch bestimmte schwere Erkrankungen aufgeführt, was den Eindruck vermittelt hätte, es seien nicht alle schweren Erkrankungen vom Leistungsumfang erfasst. An dem Eindruck, dass eine Sofortleistung bei schweren Erkrankungen ohne Einschränkung gezahlt wird, ändert auch der Hinweis auf Seite 9 ganz unten des Prospekts nichts, dass für den Leistungsumfang die allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUB) maßgeblich seien. Zum einen geht dieser Hinweis im Vergleich zum übrigen Textinhalt auf Seite 9 aufgrund des Umstandes, dass der Hinweistext eine kleinere Textgröße aufweist und sich ganz unten auf der Seite befindet, neben den übrigen Angaben unter. Zum anderen ergibt sich aus diesem Hinweis unmittelbar auch keine Beschränkung in Bezug auf schwere Erkrankungen, sondern es hätte einen Blick in die besonderen Bedingungen bedurft, die dem Kläger vorliegend zum Zeitpunkt des Beratungsgespräches mit dem Zeugen … nicht vorlagen und von dem Zeugen nicht an den Kläger überreicht worden waren. Hinzu kommt, dass unter Berücksichtigung des weiteren Inhalts der Seite 9 zu erwarten gewesen wäre, dass eine Einschränkung hinsichtlich der schweren Erkrankungen – so sie denn gewollt war – unter dem Baustein der EXTRA-PLUS-Leistungen mit aufgenommen worden wäre. Denn bei den weiteren von dem Baustein EXTRA-PLUS umfassten Leistungen sind jeweils die vom Versicherungsschutz umfassten Erkrankungen genau bezeichnet. So leistet die Beklagte laut des EXTRA-PLUS-Bausteins neben der Sofortleistung bei Schwerstverletzungen und schweren Erkrankungen unter anderem 250 € Schmerzensgeld bei Knochenfraktur. Ferner ist danach ein Unfall durch Herzinfarkt oder Schlaganfall und ein Zeckenbiss (FSME und Borreliose) vom Versicherungsschutz umfasst. Ein durchschnittlicher Kunde durfte vor diesem Hintergrund erwarten, dass bei der Sofortleistung von 7.500 € etwaige Einschränkungen ebenfalls genau bezeichnet und aufgeführt worden wären. Da es an einer Einschränkung in Bezug auf die Sofortleistung bei schweren Erkrankungen gänzlich fehlt, muss ein durchschnittlicher Kunde mit einer sich aus A.3.1.1 der besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit EXTRA-PLUS-Leistungen für Erwachsene ergebenden Einschränkung dahingehend, dass lediglich Herzinfarkt, Schlaganfall, bösartige Neubildungen der Brustdrüse oder des Hodens und eine Organtransplantation, vom Versicherungsschutz umfasst sind, nicht rechnen. Aus dem weiteren Umstand, dass der Zeuge …, einmal als bewiesen unterstellt, den Kläger im Zuge des Beratungsgespräches vom 04.05.2018 mitgeteilt hat, dass nur bestimmte schwere Erkrankungen vom Leistungsumfang umfasst seien, ergibt sich unter Würdigung aller Umstände für den vorliegenden Fall nichts anderes. Denn auch bei einem solchen Hinweis durfte der Kläger erwarten, dass jedenfalls die streitgegenständliche Tumorerkrankung im Gehirn eine schwere Erkrankung im Sinne des Versicherungsvertrages darstellt. Der Kläger hatte auch keine Veranlassung, nach dem vom Zeugen … als wahr unterstellten, erteilten Hinweis nachzufragen, welche bestimmten schweren Erkrankungen denn dann abgesichert sind. Denn jedenfalls mit einer Einbeziehung einer Tumorerkrankung im Gehirn durfte der Kläger rechnen. Auch unter Berücksichtigung des an den Kläger vor Zustandekommen des Vertrages übersandten Beratungsprotokolls zum Unfall-Antrag des Klägers vom 04.05.2018 musste bei diesem kein anderer Eindruck entstehen. Denn darin sind ebenfalls keinerlei Einschränkungen in Bezug auf die Sofortleistung bei schweren Erkrankungen enthalten. Daraus ergibt sich noch nicht einmal, welchen Inhalt das EXTRA-PLUS-Paket hat. Aus dem Beratungsprotokoll folgt schlicht, dass sich der Kläger unter anderem für das EXTRA-PLUS-Paket entschieden habe.” (LG Kiel, Urteil vom 25.09.2020 – 5 O 206/19)